Einfluss von Geschlecht in der Berufsbildung

Eine qualitative Untersuchung der Rollenanforderungen jeweils in von Männern und von Frauen dominierten Lehrberufsausbildungen.



Einleitung
Noch in der Pflichtschule ist das Verhältnis zwischen Jungen und Mädchen in der Regel einigermaßen ausgewogen. Wer sich danach entscheidet, in der Arbeitswelt eine Ausbildung zu beginnen, ist bei der Berufswahl mit vielen Berufen konfrontiert, in denen der Anteil der Frauen oder der der Männer signifikant überwiegen. So waren von den 12 594 Jugendlichen, die sich für eine Lehre in der Sparte Gewerbe entschieden, 9 606 männlich, aber nur 2 988 weiblich.
In der Sparte Industrie sind von 3 851 LehranfängerInnen gar nur 653 weiblich, während sich im Handel die Gewichtung umkehrt. Da sind 1 936 Lehranfänger unter den 5 009 Jugendlichen, die sich für eine kaufmännische Ausbildung entscheiden. (WKO 2015, o.A.)
Einer der Gründe für die unterschiedliche Verteilung der Geschlechter in Berufssparten ist nicht zuletzt die Vereinbarkeit der Anforderungen und Erwartungen im jeweiligen Lehrberuf mit den (klassischen) Rollenerwartungen an Männer und Frauen.
Die Rollenverteilung in der Familie, geschlechtsspezifische Rechte und Pflichten und nicht zuletzt die Verteilung von Ressourcen bestimmen den Zugang zu Ausbildungsmöglichkeiten und legen so den Grundstein für berufliche Segregation und Hierarchisierung.
So produziert Berufsbildung also nicht nur zukünftige MitarbeiterInnen, sondern macht aus Lernenden auch Männer und Frauen. Dort wo die jeweiligen Rollenbilder vermeintlich nicht miteinander korrespondieren, hat der/die Einzelne Legitimationszwang. So betonen Frauen in sogenannten Männerberufen oftmals ihre Abweichung vom traditionellen Frauenbild.



Fragestellung
Um jene Rollenanforderungen sichtbar zu machen, mit denen Männer und Frauen in unterschiedlichen Lehrberufen konfrontiert sind, werden Fokusgruppen mit Lehrlingen ausgewertet, die einen Lehrberuf erlernen, der entweder männlich oder weiblich dominiert ist.
Die DiskussionsteilnehmerInnen werden in diesem Rahmen eingeladen, sich mit Fragen nach der Relevanz von Geschlecht für die Berufswahl und die Auswirkungen von Geschlecht auf die jeweilige Rolle in einem (für sie) geschlechtsspezifisch untypischen Beruf auseinanderzusetzen.



Stand der Forschung
Dass Geschlecht im Sinne des „Doing Gender“, also der Konstruktion einer sozialen Wirklichkeit der Zweigeschlechtlichkeit durch interaktive Leistungen der beteiligten AkteurInnen, (vgl. Schmidt-Thomae 2012, 31) einen maßgeblichen Einfluss auf die Berufswahl hat, ist in der aktuellen Forschung unbestritten. Denn der Berufswahl kommt wie der Zuordnung zu einem Geschlecht eine hohe identifikatorische Bedeutung zu. (vgl. ebenda, 45; Granato 2006, 28ff; Blossfeld et al. 2009; Eichmann 2014) Auch Beruf selbst ist kein neutraler Begriff, sondern tendenziell männlich konnotiert. So können einzelnen Berufen geschlechtsspezifische Eigenschaften zugeschrieben werden.
Das beeinflusst die Berufswahl entscheidend, genauso wie die Tatsache, dass die beim Berufsfindungsprozess Beteiligten, BeraterInnen, Angehörige und nicht zuletzt die Suchenden selbst, ein Geschlecht haben bzw. sich einer Geschlechtsgruppe zugehörig fühlen. Aus den Anforderungen der Gesellschaft an den/die Einzelne, aber auch aus denen des individuellen Lebensentwurfs, der eng mit dem Rollenbild als Frau oder Mann verknüpft ist, entsteht die Notwendigkeit, bei der Berufswahl eine Deckungsgleiche zwischen dem jeweiligen geschlechtsspezifischen Rollenbild und dem Berufsbild zu erzielen.
Mit diesem Fokus auf der Wechselwirkung zwischen Beruf(swahl) und Gender/Geschlecht haben bisher eine Vielzahl von Studien die unterschiedlichen Zugänge von Männern und Frauen zur Berufsfindung, Ausbildung und dem Arbeitsmarkt untersucht.



Nutzen der Arbeit
Die geplante qualitative Studie soll differenziert unterschiedliche Möglichkeiten aber auch Beschränkungen von Frauen und Männern in der Lehrausbildung sichtbar machen, um somit die Grundlage zu bieten, den Anspruch der Geschlechtergerechtigkeit zu verwirklichen. Dabei wird besonders Augenmerk auf die Wechselwirkung individueller geschlechtsspezifischer Rollenerwartungen mit den Anforderungen aus einem Berufsbild gelegt, das gegengeschlechtlich dominiert ist.



Literatur (Auswahl)
Blossfeld, H. et al. (2009) Geschlechterdifferenzen im Bildungssystem,  Wiesbaden: VS Verlag.
Eichmann, H./Saupe, B. (2014) Überblick über Arbeitsbedingungen in Österreich, Wien: ÖGB Verlag.
Exenberger, S./ Schober, P. (Hg.innen) (2005) Baustelle Lehrlingsausbildung, Wien: Studienverlag.
Granato, M./Degen, U. (Hg.innen) (2006) Berufliche Bildung von Frauen, Bonn: Bertelsmann.
Leitner, A. (2001) Frauenberufe – Männerberufe, Wien: IHS.
Löw, M. (Hg.in) (2009) Geschlecht und Macht, Wiesbaden: VS Verlag.
Oberhöller, K. (2010) „Mein Papa war Ingenieur, der Opa war Ingenieur, meine Mutter
ist Hausfrau. Und was mache ich jetzt?“, Wien: D.A.
Prokopp, M./ Schranz, A. (2013) Gender und Arbeitsmarkt. Geschlechtsspezifische Informationen
nach Berufsbereichen, Wien.
Schmid, A. (2012) Berufsfindung und Geschlecht, Wiesbaden: Springer.

WKO (Hg.in) (2015) Lehrlingsstatistik, https://www.wko.at/Content.Node/Interessenvertretung/ZahlenDatenFakten/Daten_zum_Thema_Lehrlinge.html, 15.01.2016.